• Der Pazifist

    “Ist schon ein freundliches Volk, hier” dachte ich und nahm einen Zug von meiner Zigarette, Es war gerade 9 Uhr morgens und ich stand neben der Post in Batchelor auf der Wiese und wartete, bis die Post öffnete. Neben der Post war eine Tankstelle und gerade kam ein Australier über die Tankstelle in meine Richtung gelaufen.
    Als wir noch ‘frisch’ in Down Under waren, fand ich das irritierend. Australier, die die Richtung wechselten und direkt auf einen zuliefen, nur, um grüßen zu können machten sie 15 Meter Umweg, riefen ein freundliches “G’Day Mate” oder “How’s it going” und drehten wieder ab. Eigentlich sehr nett, wenn man sich mal daran gewöhnt hatte.

    Mein neuer Freund war mittlerweile nur noch 20 Meter entfernt und hielt direkt auf mich zu. Er hatte deutlich erkennbar Aborigine-Blut in sich, aber nicht nur. Er war gekleidet wie ein Weißer und ich schätzte ihn auf Ende 30, Anfang 40. Ob er einer der “Stolen Generation” war, Kinder von Aborigines und Mischlinge, die gewaltsam von der Regierung ihren Eltern weggenommen wurden, um in Pflegefamilien oder Kinderheimen aufzuwachsen und “in die weiße Gesellschaft assimiliert zu werden”? Soweit ich mich erinnerte wurde dieser “Kinderraub” bis 1969 praktiziert. Wenn er zum letzten Jahrgang gehörte und in seinem ersten Lebensjahr entführt worden war, wäre er nun um die 43.
    Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein weil mir die Australische Geschichte, die ich in den letzten Tagen nachgelesen hatte, noch im Kopf herumschwirrte.

    Ich hob den Blick wieder und grüßte ihn mit einem lächelnden “Good Morning!” Er war nun noch ca. 5 Meter entfernt. Saubere Flipflops, gepflegte, krause Haare die unter einer Baseballkappe hervorlugten, sauberes Shirt – nicht die Regel in einem Teil des Landes, in dem 90% der Bevölkerung entweder auf Walkabout sind, Minenarbeiter, Camper oder den ganzen Tag mit Stoppschildern in der Hand auf staubigen Highways stehen.

    Er atmete heftig und nun fielen mir seine starrenden Augen auf, die mit einem intensiven Blick auf mich gerichtet waren, den ich nur mit “irr” beschreiben kann.

    “You like playing with knifes? With guns?” fragte er mich, etwas zu laut für die Situation und die Distanz zwischen uns. Wovon redete der Typ?

    “I asked you a question! You playing with guns around here, huh?” fragte er mich nochmal und legte an Aggressivität zu. Dann fiel der Groschen. Ich hatte meine Zigarette mit unserem langstieligen Campingfeuerzeug angemacht und es im Anschluss daran zweimal um den Finger gedreht und wie einen Revolver in meine Turnhosentasche gesteckt. Die kleinen Freuden.

    Ich holte das Feuerzeug raus und sagte: “It’s just a lighter, mate.” Ich hielt ihm das Feuerzeug, das nun wirklich nicht wie eine Waffe aussah, zum Betrachten in die Luft. Er zuckte merklich zusammen, unter seinem Funktionsshirt konnte ich die Muskeln seiner Arme und Schultern arbeiten sehen.

    “Don’t you fucking play with guns around here. If I see you again, I’ll put that fucking thing against you head!” bellte er mich an.

    “No problem. It’s just a lighter.” sagte ich, ohne wirklich nachzudenken. Er drehte sich um 90 Grad und stapfte so aggressiv davon, wie man das mit Flipflops hinkriegt.

    “Was wollte der denn?” sagte Kerstin, als sie mit dem Auto aus der Tankstelle gefahren und neben mir angehalten hatte.
    “Der mochte meine Pistole nicht” sagte ich und hielt ihr das Feuerzeug hin.
    “Das ist ein Feuerzeug.” sagte sie.

    “Hab ich ihm auch gesagt” antwortete ich und hoffte, dass der Typ nur schlecht gesehen hatte und nicht wirklich so irre war, jeden Fremden anzumachen, der mit etwas in der Hand rumsteht, das wie eine Pistole aussieht.

    Wenn man nach den Schildern mit ihren Einschusslöchern hier ging, gab es nämlich eine ganze Menge Leute mit richtigen Pistolen, die gerne rumballerten.

    Und das machte meinen neuen Freund dann doch wieder sympathisch.
    Es gibt viel zu wenig glaubwürdig aggressiv vorgetragenen Pazifismus auf der Welt, wenn ihr mich fragt.

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