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Holger
- 17. September 2012 in Uncategorized
Australisches Stereotypenfestival: Guyra – Nimbin – Border Ranges National Park
“A-sah Tas, may” sagt der Fremde und schlägt mir auf den Rücken. Da er lächelt, in der einen Hand ein Bier hält und die Rauchwolke, die beim sprechen aus seinem Mund kommt eindeutig nach Gras riecht, entscheide ich, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.
Ich stehe im Border Ranges Center, einem kleinen Platz mitten im Border Ranges National Park. 10 Schritte nach Süden und ich stehe im Bottle-Shop, dem lokalen Bier und Schnapsladen. 5 Schritte nach Osten und ich stehe im Thai-Restaurant, das aus einem aufgesägten Miniwohnwagen (Küche und Theke) und einem Pickuptruck (Abwasch, Vorratsraum und Pausenraum der asiatischen Köche) besteht. “Original Thai” steht auf dem Schild und es ist nicht ganz klar, ob damit die Köche oder die Küche oder beides gemeint ist.In Australien darf man im Bottel-Shop kein Alkohol trinken, nur kaufen. Die dritte Seite des Platzes ist daher von einer offenen Wellblechbaracke besetzt, in der Picknickbänke um 2 Feuerstellen herum stehen. In der einen Ecke steht ein Röhrenfernseher, der zur Rugby-WM ’87 brandneu gewesen sein muss (und damals bestimmt woanders stand). In der anderen Ecke steht ein Discman mit angeschlossenen Minilautsprechern. (Für die jüngeren Leser: Ein Discman war sowas wie ein iPod, in den man runde, silberne Datenträger reinschieben musste, damit Musik herauskam.)
Über die Boxen läuft “Who can it be now” – Australier lieben ihre Australische Musik.
Mein rückenklopfender Freund ist schon 4 Schritte weiter, bis mein Hirn übersetzt hat, was er gesagt hat. Die Australier sind schon verständlich, aber halt im Moment nur mit 3 Sekunden Verzug. “Awesome Tats, mate” sollte das heissen. Bis ich danke sagen kann ist er schon in der nächsten Unterhaltung versunken.
Er sieht aus wie ca. 20 der anwesenden 30 Eingeborenen: Stiefel, kurze Hosen, T-Shirt (auch beliebt: Achselshirt), Mütze. Alles ein bisschen verranzt. Mindestens ein Teil muss knallorange sein. Er hat auch Tätowierungen: Auf der einen Wade ein Papagei. Im Nacken ein verwachsener Barcode. Auf dem einen Oberarm ein Vogel. Auf dem anderen Unterarm ein Tribal.
Sieht irgendwie aus, als wäre er in einen Unfall mit einem LKW verwickelt gewesen, der Tätowiervorurteile geladen hatte.
Nicht falsch verstehen: Das ist nicht arrogant gemeint. Diese scheinbar wahllos verteilten Stempel stehen einfach für eine andere Tattoo-Philosophie. Während ich 3 Jahre lang plane und eine Langzeitstrategie für meine Tattoos brauche, gibt es am anderen Ende des Spektrums die Spontantinter: “Hab ich Bock drauf, mach ich jetzt”.
Hätte nichts dagegen, zu den Typen zu gehören.
Die Wellblechbaracke füllt sich, während wir auf unser authentisches Thai-Dinner warten. Wir nuckeln an unserem Rum & Coke und beobachten. Den Rum & Coke hatte ich vorher beim Bottle Shop besorgt, der gleichzeitig die Rezeption des Campingplatzes ist, der hinter der Thaiküche am Hang liegt. Hinter dem Campingplatz wiederum liegt nur kilometerweite Aussicht auf den Border Ranges National Park, eingerahmt von einer Bergkette der Great Dividing Range hinter hügeligem Weideland voller Kühe.
“Wie lange habt ihr denn heute offen?” hatte ich den Spritdealer gefragt.
“Och, so bis Sieben, halb acht oder so”. – “Wieso ist denn da draußen so viel los?”
“Wir sind der einzige Bottleshop in 30 Kilometer Umkreis. Und heute Abend sind die Rugby-Finals im Fernsehen.” – “Echt? Wann denn?”
“Och, so um Sieben, halb Acht oder so.”Er grinste und gab mir mein Wechselgeld.
Noch eine Graswolke kommt vom Nebentisch herüber geweht. Scheint ja recht akzeptiert zu sein hier. Auf dem Weg hierher kamen wir durch Nimbin, die berühmte Hippie-Enklave. Stundenlang wand sich die Landstraße durch grüne Täler, überquerte alle paar Minuten einen kleinen Fluss oder ging über steile Berge und zurück in steile Abhänge, dass man sich vorkam wie in der Achterbahn. Den Hippie-Einfluss merkt man schon daran, dass die Schlaglöcher auf der Landstraße kurz vor Nimbin mit Neonsprühfarbe zu psychedelischen Tausendfüsslern umlackiert wurden.
Ortseingang Nimbin. Polizeistation (geschlossen), Zebrastreifen und dann die Hauptstraße. Stellt Euch eine Westernstadt vor: 500 Meter lange Hauptstraße, auf beiden Seiten mit einem breiten Bürgersteig hinter dem ein- oder zweistöckige Holzhäuser stehen, in denen diverse Läden ihre Waren anpreisen. In einer Weiterstadt wären das Sättel, Hufeisen, Whiskey, Nutten und Seife. In Nimbin sind es Bongs, Papers, Health Food und irgendwas Veganes. Oder Postkarten. Die Grenzen fließen.
Alles ist irgendwie bunt, aber weniger so wie ich mir eine Hippiestadt vorgestellt habe und mehr so wie ich mir eine Stadt vorstelle, die so designt wurde, wie jemand meint, dass ein Tourist sich eine Hippiestadt vorstellt.
In einem Café sitzen zwei oder drei grundentspannte 120-Jährige, die jeder einen eigenen Joint in der Hand haben. Kerstin meint, dass sie erst 40 sind und die Drogen der Grund für’s Aussehen sind. Ein paar Meter weiter spielen Hippiekinder in der Auslage eines Kleidungsladens. Sie haben Batik-Klamotten an und werfen sich Batik-Klamotten zu. Im Hanfmuseum und in der Hemp-Embassy findet man hier und da noch Zeugnisse der echten Hippies, die hier mal irgendwann gewesen sein müssen. Im Museum gibt es T-Shirts für 20$ zu kaufen, unter den T-Shirts hängt ein Schild, dass es 2 Läden weiter aber auch Shirts für 3$ gibt.
Ansonsten wird man enttäuscht, wenn man den Tommy Chong-Typus Hippie sucht: Stoned und friedlich. Den Künstler-Hippie sucht man auch vergeblich, wobei das vielleicht daran liegt, dass die sich selbst in der “Hippie Candle Factory” verchanzt haben – zumindest nach Aussage des Infoladens.
Die Typen, die einem auf der Straße alle 2 Meter Gras anbieten (Hydro, 30 Gramm, 300$) sind aus einer anderen Schublade. Stellt Euch Dennis Hopper vor, der auf der Flucht vor dem FBI nach einer 20 Jahre Hell’s Angels Waffenschieber-Karriere bei den Hippies untertaucht. Recht Jackentasche: Springmesser. Linke Jackentasche: Revolver. Alternativ gibt’s noch offensichtliche Junkie Marke “Assi-Toni” mit ungewaschenen Haaren. Die Mädels (3 Space-Cookies für 10$) sehen alle aus wie “Courtney Love schaut auf dem Weg zum Familiengericht besoffen beim Tätowierer vorbei”.
Es gibt zwar Kameras auf der Straße, aber vor den Läden stehen Dächer in deren Schutz der Deal abläuft. Wenn es auf der Landstraße eine Polizeikontrolle gibt, schreibt die Australien Hemp Party das mit Neonfarbe am Ortsausgang auf den Asphalt. Und überhaupt kann man in New South Wales 15g bei sich haben und es gibt nur eine Verwarnung. Damit da keine Missverständnisse aufkommen hängen überall Poster mit einem Foto, das zeigt, wie viel 15g sind (beide Hände zusammenhalten, als ob man Wasser schöpfen möchte – 15g ist halb soviel wie reinpasst).
Im Tourismusmanagement gibt es das Konzept von “Front stage / Back stage”. Das funktioniert so: Wenn ein Ort wie Nimbin touristisch erschlossen wird, werden bestimmte Straßen als Front oder Back definiert. Touris gehören auf die Front Stage. Da wird verkauft, gehandelt, gelächelt und geholfen. Dafür habe die Einwohner in der Back Stage (meist die Wohngegenden) ihre Ruhe von den Touris und können das Lächeln abschalten und ihr Leben in Ruhe leben.
Ich wünsche den Einwohnern von Nimbin, dass sie eine Back Stage haben, wo die Hippies noch Hippies sind, Kunst machen, Frieden atmen und Liebe pupsen.
Weil in dem Nimbin, das wir gesehen haben, kannste das vergessen. Das ist kommerzialisierter Handel von Hippiesouvenirs und gestrecktem Gras durch Junkies mit so viel kulturellem Tiefgang wie der Sekundärparkplatz von Eurodisney.“ALEX” ruft eine kleine, sehr authentische Thailänderin durch die Wellblechbaracke. “ALEX”. Es dauert, bis ich mich daran erinnere, dass ich beim bestellen meinen dritten Vornamen angegeben habe, statt “Ätsch Oh Ell Tschie Ie Arr” zu buchstabieren. Die Sateh-Spieße sind scharf und lecker und nach dem Dinner sind wir beide – wohl auch dem Dosenrum geschuldet – schon recht schlummrig. Ist ja schließlich auch schon acht Uhr!
Wir entscheiden uns gegen das Rugby-Spiel (ist nur eines von vielen Spielen in den Final Playoffs) und setzen uns stattdessen vor unseren Camper unter die Sterne. Dort, wo 3 Stunden vorher die Berghänge der Great Dividing Range das Orange und Rot des Sonnenuntergangs reflektiert haben, sieht man nun einen hellen Streifen am Nachthimmel. Wir können sie schon erahnen, die Milchstraße.
Bald werden wir sie sehen.
Gefahren: 360 km: Guyra – Casino – Nimbin – Border Ranges National Park
Gegessen: Toast, kalte Reste vom Vortag (Schweinebraten mit Kartoffeln), Thai
Gesehen: Ein Duzend tote Kängurus
Gehört: “I wanna be sedated” – Ramones
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